Toni Geisberger feierte am Samstag in Pfarrkirchen seinen 50. Geburtstag,
und mindestens ein Gast fuehlte sich auf seinem Fest wie beim Klassentreffen -
nur viel besser. Es war ein Wiedersehen mit Freunden von frueher, Gefaehrten
eines lang vergangenen Lebensabschnitts, bloss war da keiner, der eine Yacht
am Mittelmeer ins Gespraech flechten oder seinen Doktortitel dreimal fallen
lassen musste. Kein Wettpissen hier. Obwohl ueber dem Ort der Party,
Geisbergers Wohnhaus und Werkstatt, der schlanke Doppellingam der Wall-
fahrtskirche auf dem Gartlberg sich reckt. Anna Wimschneider ist dort
oben begraben, die Bauernmagd, die Bestseller-Autorin.
Die hier feierten, kennen sich aus den siebziger Jahren. Damals sind in Nieder-
bayern viele Landkommunen entstanden, speziell im Landkreis Pfarrkirchen.
Kleine, fuer die Bauern unrentabel gewordene Hoefe gab es samt Grund fuer
einige zehntausend Mark zu kaufen. Pjotr, ein Muenchner, dessen Nachname
nur er selber weiss, hatte auf dem Einberg nahe Wurmannsquick damit ange-
fangen und, damit er nicht allein bleibe, im legendaeren Muenchner "Blatt" und
anderen Alternativzeitungen gleichgesinnte Nachahmer ermutigt. Es war die Zeit
dafuer gewesen. Einfach leben auf dem Land ! Kommunitaer, konsumfern,
selbstbestimmt. Hedonistisch, ja klar. Sex, Drogen, Musik, und die Kuh liess
sich auch mittags noch melken. Auf dem Einberg siedelten die Musiker und
Gaertner. Den Barhof bewirtschafteten Frankfurter Intellektuelle. Gschoed
versuchte Selbstversorgung. Schatzbach belebten Frauen mit Kindern. In
Kasten flochten sie Koerbe und bauten Zirkuszelte, in Schacha schreinerte
ein promovierter Soziologe. Den stromlosen Einoedhof Geissen kaufte eine
wilde, trinkfeste, barfuessige Graefin.
Und alles fluktuierte zwischen den etwa 40 Gruppen. Man wohnte hier oder dort,
verliebte sich von dieser Kommune in jene hinueber, zog vom Gartenhaeusl auf
einen Heuboden in einen Bauwagen und traf bei unzaehligen Festen alle wieder.
Auf dem am vergangenen Samstag liess sich feststellen, dass die Szene,
veraendert, noch existiert. Nach bald dreissig Jahren sind Haare grau, Gesichter
faltig, Kinder erwachsen geworden. Einer, der immer bis nachmittags schlief, ist
heute Psychotherapeut mit Kassenzulassung. Einer amtiert als garantiert lang-
haarigster Gemeinderat Bayerns. Eine einst mystisch alliebende Indienfahrerin
steht heute stabil im eigenen Wirtshaus. Wer laenger nichts gehoert hatte,
konnte beruhigt sein: Aus diesen Gammlern ist was geworden. Sie haben sich
Zeit gelassen, aber das hat scheint's nicht geschadet.
Auch nicht dem Geburtstagskind. Toni Geisberger, Niederbayer, Haeuslerkind,
sass damals, wenn er nicht Strassenmusik machte, im Eck und schnitzte.
Einfach so, wie jeder mal in seiner Jugend. Beharrliche Kuenstlerseele:
Heute wird Geisberger in grossen Museen ausgestellt. Eine seiner filigran
durchbrochenen, magisch inspirierten Holzstamm-Skulpturen steht im renom-
mierten Museum fuer Naive Kunst und Art Brut in Schloss Boennigheim bei
Stuttgart. Neben dem Zoellner Rousseau, der Putzfrau Seraphine, neben Woelfli
und Schroeder-Sonnenstern der Landfreak Toni Geisberger. Momentan sucht er
einen neuen Galeristen.
Dilloo's
Kolumne
SZ, 28.11.2002